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Kontrovers, solidarisch, antifaschistisch – viel Klärungsbedarf bei der Essener Montagsdemo

Von einem Korrespondenten

Die Montagsdemonstration vom 3. Januar war für alle Beteiligten ein echtes Highlight in Sachen demokratische Streitkultur. Es entspann sich eine lebhafte kontroverse, aber sachliche, Debatte um das Thema ‒ wie könnte es anders sein ‒ „Corona-Diktatur“ oder gesellschaftlich notwendige Impfpflicht? Und: Ist der Sozialismus eine Alternative zum kapitalistischen Profitsystem?

Mehrere Redner betonten, dass die Montagsdemonstration sich gegen jeden Versuch der sogenannten Querdenker verwahre, sie für sich zu vereinnahmen. Wer kein Problem damit habe, dass er zusammen mit Faschisten laufe, der könne nicht zur Montagsdemonstration gehören. Die sei ein demokratisches Forum auf klarer antifaschistischer Grundlage. 

Eine junge Frau sagte, sie leugne die Existenz von Corona nicht, sie sei auch geimpft und stünde links; sie sei aber klar gegen eine Impfpflicht, weil jeder über seinen Körper selbst verfügen können müsse. Ihr wurde entgegenhalten, dass die Pflicht zum Impfen natürlich ein weitgehender Eingriff ins Persönlichkeitsrecht ist. Allerdings seien wir Menschen keine voneinander isolierten Lebewesen; sobald es um eine massiv ansteckende Krankheit oder gar eine Pandemie gehe, sei es eine gesamtgesellschaftliche Frage und nach gründlicher Abwägung von Risiken und Nutzen eine unabweisbare Notwendigkeit. Berechtigt sei allerdings die Kritik, dass die Politiker die Ungeimpften zu Sündenböcken ihrer gescheiterten Politik des „Auf Sicht-Fahrens“ machten und von den eigentlichen Problemen abzulenken versuchten. „Unser eigentlicher ‚Endgegner‘ ist der Kapitalismus“, hatte die junge Frau in ihrem Beitrag gesagt, und darin war man sich dann mit ihr einig. Die Grenze verlaufe immer noch zwischen oben und unten und nicht zwischen Geimpften und Ungeimpften.

Ein anderer Redner stimmte zu, dass das ganze Chaos bei der Pandemie mit dem Kapitalismus zusammenhänge, wo der Profit im Mittelpunkt stehe; aber der Sozialismus sei doch keine Alternative, der habe doch noch mehr Tote zur Folge gehabt. Diese Vorstellung wurde von Gabi Fechtner überzeugend zurückgewiesen. Die MLPD-Vorsitzende nahm den egoistischen Freiheitsbegriff der Impfgegner aufs Korn. Sie griff die Vorstellung von einer „Corona-Diktatur“ an. Sie verharmlose die wirkliche Diktatur des Finanzkapitals über die ganze Gesellschaft. Diese Diktatur zeige sich deutlich an der Unterdrückung revolutionärer und anderer fortschrittlicher Kräfte; sie selbst und andere führende Genossen der MLPD würden da in ganz besonderem Maße zur Zielscheibe. Wir alle müssten die Pandemie auch deshalb so schnell wie möglich überwinden, um gegen die massive Arbeitsplatzvernichtung und den Abbau bürgerlich-demokratischer Recht und Freiheiten, der im Windschatten der Pandemie vorangetrieben werde, wieder gemeinsam auf die Straße gehen zu können.

Ein migrantischer Kollege berichtete, dass er sich trotz Impfung mit Corona infiziert und auch seine Familie angesteckt hatte. Er war unter ihnen als einziger geimpft, und bei ihm verlief die Krankheit deutlich milder als bei allen seinen Angehörigen. Ein anderer Betroffener berichtete über die massiven Nachwirkungen bei „Long Covid“, d.h. bei möglichen Langzeitfolgen nach einer Corona-Erkrankung. Dieses Thema werde von den „Querdenkern“ völlig ignoriert, wenn sie die Erkrankung mit einer Grippe verglichen. Wir müssten uns zur schnellen Überwindung der Pandemie für eine Null-Covid-Strategie einsetzen, statt eine Durchseuchung der Gesellschaft in Kauf zu nehmen, damit nur ja „die Wirtschaft“ ungestört weiterlaufen kann. Genau darauf liefen die Forderungen der Monopolverbände ja hinaus 

Insgesamt eine sehr spannende Kundgebung, die immer wieder Scharen von Zuhörerinnen und Zuhörern anzog und einige von ihnen auch dazu veranlasste, selbst das Wort zu ergreifen. Sie machte deutlich, welches Potential in der Montagsdemo-Bewegung steckt gerade in der jetzigen Situation, in der viele Menschen gegen die Politik der Regierung protestieren wollen, gleichzeitig aber auch sehr viel Klärungsbedarf besteht, wogegen, wofür und mit wem dies erfolgreich organisiert werden kann. Dem Anspruch, dieses Potential voll zur Geltung zu bringen, müssen wir in den nächsten Wochen gerecht werden - mit Selbstbewusstsein, Offensivgeist und Einfallsreichtum.

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