20.01.2020 MLPD Essen/Mülheim, an „Essen stellt sich quer“
Liebe Antifaschist*innen!
1. In der heutigen Zeit, wo man von einer akuten faschistischen Tendenz in der Gesellschaft sprechen muss, ist eine breite überparteiliche Zusammenarbeit aller Antifaschisten auf der Grundlage des gemeinsamen Kampfes absolut notwendig. Wenn wir die Zeit vor dem Hitler-Faschismus betrachten, lasst uns nicht nur auf die Niederlage der Arbeiterbewegung schauen. Vor 100 Jahren wurde der faschistische Kapp-Putsch erfolgreich abgewehrt mit einem Generalstreik und dem bewaffneten Arbeiteraufstand der RotenRuhr-Armee, wo zehntausende Kommunisten, Sozialdemokraten, usw. gemeinsam kämpften. Wir stehen auch heute für eine antifaschistische Aktionseinheit „von Kirche bis Kommunisten“. Dabei halten wir die antifaschistische Aufklärungsarbeit für ganz entscheidend angesichts einer inzwischen entstandenen faschistoiden bzw. faschistischen Massenbasis.
2. Diese kann aber nur erfolgreich sein auf dem Prinzip der Gleichberechtigung der beteiligten Kräfte; eine praktische überparteiliche Zusammenarbeit in Fragen des Antifaschismus und Antirassismus zum gegenseitigen Nutzen. Überparteilichkeit heißt nicht „keine Parteien“, sondern Gleichberechtigung der beteiligten Parteien und Gruppen. Um dies positiv zu bestimmen haben wir aktiv am ESSQ-Selbstverständnis (2016) und „Wie wir arbeiten“ (2019) mitgewirkt. Darin heißt es u.a.: „Bei unseren Aktivitäten kann jede beteiligte Organisation gleichberechtigt in Erscheinung treten.“ Das umfasst für uns das Recht, dass die Organisationen und Parteien mit Fahne und Transparent zum Thema auftreten und auch sprechen können, wenn sie wollen. Ob bei Auftakt, Abschluss oder während der Demo, ist dann eine konkrete Frage. Ein Anmelder hat vor allem eine dienende, praktische Aufgabe bei einer Bündnisaktion und kann darüber nicht die inhaltliche Gestaltung bestimmen oder gar diktieren, wer reden und auftreten darf. Andere Beteiligte auszuschließen, das ist unsolidarisch!
Ein offenes Mikro hat sich dabei als demokratischer Standard hervorragend bewährt, um die Masse der Teilnehmer einzubeziehen und sich in Verbindung mit Musik aufklärend an die Bevölkerung zu wenden und auszutauschen. Lebendig, vielfältig und bunt – und dazu gehört auch (knall)rot!
Es wird behauptet, wir wollen „unseren Antifaschismus allen anderen aufzwingen“. Ehrlich gesagt ist es augenscheinlich gerade genau andersherum! Es wird versucht zu diktieren, dass die MLPD sich den Vorstellungen einiger Mitstreiter unterzuordnen hat. Wir demonstrieren mit jedem, der nur in Ruhe ohne die Rechten sein „Eis essen“ will oder mit Stofftieren seinen Protest zeigt, wie am 9.1. Wir erwarten aber umgekehrt, dass auch unsere Ansätze respektiert werden. Diese bestehen in: Aktivitäten, die das Bewusstsein unter der Bevölkerung erhöhen und sie einbeziehen, die überzeugende Argumente gegen die Wirkung der faschistischen Propaganda unter der Bevölkerung liefern, die gesellschaftlichen Grundlagen des Faschismus im Kapitalismus und Perspektiven nennen und die Leute herausfordern, sich zu organisieren. Wer kann etwas gegen diese Schwerpunkte haben? Und selbst wenn, wer hat dann das Recht, diesen Ansatz zu unterdrücken? Das schafft schlechte Stimmung, spaltet und zersetzt. Immer dann waren und sind Bewegungen stark, wenn sie das Gemeinsame in den Mittelpunkt und Differenzen zurückstellen. Nicht, wenn einzelne versuchen, Mehrheitsentscheidungen herbei zu führen, die dann als Konsens bezeichnet werden. Ein Konsens ist eine Vereinbarung, der alle Beteiligten zugestimmt haben. Wir haben uns immer an Absprachen gehalten, denen wir zugestimmt haben. Um etwas anderes kann es nicht gehen. Wenn die Einheit mal nicht gelingt, versucht man im Sinne der Sache natürlich, sich nicht gegenseitig zu stören. So haben wir z.B. den Reden von Irene/ SBB am 2.1. selbstverständlich zugehört und während dessen unser offenes Mikrofon ausgemacht.
Ein kleinerer Kreis in „Steele bleibt bunt“ hatte entschieden, wer und dass nur eine einzige Person sprechen darf. Alle sollten hinter der Party-Musik herlaufen und nachrufen, dass Steele u.a. für „Liebe“, „Toleranz“ und „Eis essen“ steht. Die Toleranz uns gegenüber war allerdings sehr gering - unser offenes Mikro wurde versucht zu unterdrücken. Es wurde allen Ernstes gesagt, dass die sog. „Steeler Jungs“ zwar Teil der faschistischen Bewegung sind, aber man nicht Begriffe wie Rassismus und Faschismus verwenden solle und auch nicht von „Antifaschismus“ reden dürfe, weil das zu politisch sei. Aber eine Unterschätzung der Gefahr sei das keineswegs. Leute, wo soll das denn hinführen? So einem Antifaschismus werden wir uns nicht unterordnen. Bundesweit ist Ähnliches zu beobachten, wie „Kuchen statt Parolen“ in Eisenach oder „Bass statt Hass“ in Herne. Sicher sind Kultur und Kuchen bei antifaschistischen Protestaktionen wichtig. Aber wenn damit politische Inhalte herausgehalten oder gar verboten werden soll, dass politisch Klartext geredet und ein konsequenter Kampf geführt wird, dann wird diese Ausrichtung schädlich.
Auch bei den Demos von AgR am 9. und 16.1. sollten wir unser Transparent für das Verbot aller faschistischen Organisationen nicht tragen, nicht sprechen usw. Kein Antifaschist kann dem anderen vorschreiben, wie er seinen Protest zum Ausdruck bringen „darf“. Natürlich kann jede Gruppe oder Richtung künftig ihre eigene Aktion machen. Wir sind aber der Meinung, dass eine breite antifaschistische Aktionseinheit das Gebot der Stunde ist.
3. Teilweise wird jede inhaltliche Diskussion als „arrogante Belehrung“ abgetan. Warum? Es geht immer auch um den Inhalt der Aktionen. Z.B. am 1. Mai 2015 wollte „Die Rechte“ nach einer Kundgebung am Krayer Markt nach GE-Rotthausen marschieren. Die Polizei wollte, dass ESSQ die Anlage so leise dreht, dass sie nicht effektiv gestört werden. Dem hat Max sich objektiv untergeordnet. Antifaschisten sollten von der Polizei am „quer stellen“ gehindert werden. Wir haben dann mit vielen anderen Antifaschisten den Protest dagegen auf dem Weg nach Rotthausen organisiert und den dort Blockierenden den Rücken gestärkt, so dass „Die Rechte“ abziehen musste.
Antifaschismus ist heute mehr denn je untrennbar mit dem Kampf um demokratische Rechte auf antifaschistischer Grundlage verbunden. Dass jede Partei bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel in Erscheinung treten darf, ist so ein demokratisches Recht, das in den letzten Wochen durch viele Gerichte bestätigt wurde. Faschisten heben es bekanntlich sofort auf, wenn sie können. Wenn das jetzt einzelne Leute, oft selbst aus bürgerlichen Parteien, innerhalb der Bewegung in Frage stellen wollen (mit welcher Begründung auch immer), ist das prinzipiell nicht richtig. Dass Parteien nicht sichtbar sein sollen, heißt ja nicht, dass sie nicht da sind! Oft nehmen sie im Hintergrund oder unter dem Label anderer Organisationen Einfluss, um ihre Führung durchzusetzen. Da ist es doch tausendmal demokratischer, wenn jeder offen sehen kann, wer wofür steht. Die große ESSQ-Demo letzten September im Steele war dafür ein anziehendes Beispiel. „Die breite Zusammensetzung von ESSQ... ist ein Trumpf.“, „Unsere Arbeit lebt von der Aktivität, der Vielfalt und dem Austausch der Beteiligten.“ heißt es in „ESSQ - Wie wir arbeiten“.
Wir hatten nach der erfolgreichen Großdemo „#wir sind mehr“ 2018 in der Auswertung angesprochen, dass zwar einerseits die Forderung von Endruschat/SPD, EBB und Co. berechtigt zurück gewiesen wurde, „extremistische Gruppen“ wie die MLPD oder Antifa von der Zusammenarbeit in ESSQ auszuschließen. Aber praktisch diese Richtung umgesetzt wurde, indem uns „verboten“ wurde, in der Demo an unserem Lautsprecher unsere Standpunkte zu äußern. Und auf der Bühne sprechen dann Ali Can oder Reinhard Wiesemann, die sonst mit unserer Arbeit nicht viel zu tun haben. Das wurde seit dem nicht weiter geklärt, darum ist dies jetzt auch eine Chance.
4. Keiner braucht sich vormachen, diese Auseinandersetzung hätte nichts mit Antikommunismus zu tun. Der gesellschaftliche Diskurs hat sich doch ausgehend von den Regierungsparteien stark nach rechts verschoben. Die Gleichsetzung von links und rechts, die Warnung vor dem „totalitären“ Kommunismus wird immer mehr Staatsräson, damit eine Alternative zu diesem verbrecherischen Kapitalismus verbaut wird. Wenn sogar in ESSQ Verfassungsschutz-Sprech übernommen wird, wie dass jeder, der enger mit der MLPD zusammen arbeitet, eine „Vorfeldorganisation“ sei, dann ist das sehr bedenklich. Der „Verfassungsschutz“ wurde bekanntlich von Nazi-Kadern gegründet und ist bis heute ideologisch und praktisch eng mit der faschistischen Szene verbunden. Der VS musste aus seinen Berichten streichen, dass der Frauenverband Courage eine „Vorfeldorganisation“ der MLPD sei. Courage Essen macht eine tolle, anerkannte antifaschistische und Bildungsarbeit, gerade unter Migrantinnen. Der Frauenverband kämpft um seine Gemeinnützigkeit, wie die VVN, die Rote Hilfe und andere fortschrittliche Organisationen, teilweise in direkter Zusammenarbeit. Und so eine Gruppe wird nicht in ESSQ aufgenommen!
Liebe Antifaschist*innen,
aus all diesen Gründen betrachten wir eine Abstimmung über einen Verbleib der MLPD im Bündnis ESSQ für nicht „zulässig“. Wenn die Entscheidung getroffen wird, uns auszuschließen, verliert ESSQ seinen überparteilichen Charakter, hat der Antikommunismus sich letztlich durchgesetzt. Das wäre sehr schädlich für den weiteren antifaschistischen Kampf und würde ihn spalten. Das hätten die zu verantworten, die das betreiben.
Auch uns nervt diese ständige Diskussion darüber im Bündnis. Oder wenn uns wie im letzten Brief von Oliver vorgeworfen wird (sinngemäß), wie wir es wagen könnten eine (für alle offene) Kundgebung am neuen Tag der Naziaufmärsche in Steele anzumelden. Was kann ein Antifaschist denn dagegen haben?
Stecken wir unsere Zeit und Kraft doch lieber in die Mobilisierung von noch mehr Mitstreitern – das würde der Situation gerecht.
Mit solidarischen Grüßen, Billy Keil
für die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands, Kreisverband Essen/Mülheim
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